Karriere von Führungskräften innerhalb und außerhalb von Organisationen. 44. Wissenschaftliches Symposium der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte

Karriere von Führungskräften innerhalb und außerhalb von Organisationen. 44. Wissenschaftliches Symposium der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG)
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.10.2021 - 22.10.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Flemming Falz, Frankfurt am Main / Leipzig

Wer macht wann wie und warum Karriere? Dieser ebenso unspezifische wie gleichzeitig produktiv-offene Fragenkomplex stand im Mittelpunkt des lebhaften 44. Symposium der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte in Stuttgart, an dem nicht nur Historiker:innen, sondern auch Sozialwissenschaftler:innen teilnahmen. Entsprechend groß war die inhaltliche und thematische Spannweite der Vorträge. Aus unterschiedlichen Perspektiven, aber jeweils vom Spezifischen zum Allgemeinen vorstoßend, umkreisten die Vortragenden den umfangreichen, aber selten analytisch zusammengeführten unternehmenshistorischen, betriebswirtschaftlichen und organisationssoziologischen Forschungsstand zum Thema.

In seinem Auftakt verortete WERNER PLUMPE (Frankfurt am Main) die historische Auseinandersetzung mit Karrierewegen und -mustern vor dem Hintergrund aktueller Debatten um Diskriminierung, Diversität und Quoten: Wie es derzeit laufe, wer also erfolgreich Karriere mache und wer nicht, das sei derzeit nicht „zustimmungsfähig“. Um dem dahinterstehenden „offenen Problem“ auf den Grund zu gehen, müsse gerade auch historisch-empirisch konkret nach den (Vor-)Selektionsmechanismen des Wettlaufs gefragt werden, der als Karriere bezeichnet wird. Was sind die Faktoren, die Karrierewege bedingten? Wie wandelten sie sich? Wer entschied wie und wann über das Scheitern oder den Erfolg von Karrieren?

Damit war ein ambitionierter Rahmen für die Tagung abgesteckt. Den Anfang machten zwei Referent:innen, die im Kern in etwa denselben Zeitraum in den Blick nahmen, aber zwei im Ergebnis sehr unterschiedliche Fälle diskutierten. LUCA FROELICHER (Zürich) konstatierte, dass es bei schweizerischen Versicherungen um 1900 zu einer Umstellung des Rekrutierungssystems für das Spitzenpersonal kam. Das Hauskarrieremodell ersetzte die gescheiterte externe Rekrutierung, was allerdings zunächst gänzlich Fachfremde an die Spitze von Schweizer Rück, Zürich und Winterthur brachte. Der gemeinsame Nenner und (vermeintliche) Vorzug des neuen Personals bestand nicht nur darin, dass es sich um Schweizer handelte, auch fand eine soziale Angleichung statt: Die neuen Direktoren stammten nun wie die sie auswählenden Mitglieder der Aufsichtsräte aus dem Großbürgertum.

Dass Kompetenz hinter dem „sozialen Passen“ eine nachgeordnete Rolle bei der Postenbesetzung und also für Karriereverläufe spielen könne, versuchten sowohl Ernst Abbe als auch Jacob Christian Jacobsen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit aller Kraft zu verhindern. JOHANNA STEINFELD (Frankfurt am Main) stellte heraus, dass beide viel Energie darein investierten, nicht zuletzt die Mechanismen für die Personalauswahl bei Zeiss bzw. Carlsberg für die Zeit nach ihrem Ableben festzuschreiben. Dazu entmachteten sie ihre Familien und gründeten Stiftungen, denen sie ihren gesamten Besitz übertrugen und ausgeklügelte Statuten gaben. Für das insgesamt allerdings ernüchternde Ergebnis dieser Vorsorge prägte die Referentin dann den Begriff der postmortalen Unternehmerkarriere.

Die Karrierewege von hunderten Akteuren vom Nationalsozialismus in die Bundesrepublik untersuchte CHRISTIAN MARX (München) in einem für die bundesdeutsche Zeitgeschichte außergewöhnlich quantitativ verfahrenden Projekt, das er in Stuttgart vorstellte. Von den 227 Unternehmern, Managern, Bänkern usw., die in der Stichprobe 1938 zur deutschen Wirtschaftselite gezählt wurden, machten 150 Nachkriegskarriere. Erstaunlich vor dem Hintergrund der umfänglichen Forschung zu diesem Thema aus den frühen 2000er-Jahren sei dabei etwa, dass die quantitative Auswertung nahelegt, dass eine NSDAP-Mitgliedschaft eher von Vorteil für den Werdegang in den 1950er-Jahren gewesen sein könnte. Doch hatte das wohl weniger mit einem System aus NS-Seilschaften als der Tatsache zu tun, dass ein Eintritt in die NSDAP Mitte der 1930er-Jahre Karriere-zuträglich war – und wer 1938 eine hohe Position bekleidete, der hatte auch nach 1945 eine gute Chance. „NSDAP+“-Biografien (etwa SS-Mitgliedschaft) hingegen vereitelten meist die Rückkehr.

Den Abschluss am Donnerstag machte WOLFGANG MAYRHOFER (Wien) mit einer konzisen Präsentation zur wirtschaftswissenschaftlichen „Karriere“-Forschung. Diese lasse sich für die letzten 40 Jahre hinsichtlich drei Dimensionen unterscheiden: „Räumlich“, „Ontisch“ und „Zeitlich“. Während bis in die 1970er-Jahre hinein alle drei wichtig waren, fiel in den 1980er-Jahren die temporale Komponente immer öfter weg. In einer Phase der „Entgrenzung“ spielte dann lange nur die „ontische“ Dimension eine Rolle, mithin der Fokus auf Karriereakteure als Individuen mit bestimmten Merkmalen. In den letzten zehn Jahren könne allerdings ein „Vorwärts zu den Wurzeln“ festgestellt werden. Auch in zeitlicher und sozial-geographischer Hinsicht etwa würden nun Momente der Karrieretransition beforscht. Am Ende warf der Referent den Teilnehmenden noch einige „empirische Brösel“ dieser Forschung hin: Etwa habe sie jüngst als Mythos entlarvt, dass „Führungskräfte ihre Arbeitsplätze heute viel öfter als früher“ wechselten.

Für jene Elite, die MARTIN ELBE (Potsdam) am nächsten Morgen zum Thema machte, gestaltet sich die Frage nach dem Arbeitsplatzwechsel gänzlich anders: Gestützt auf drei jüngere sozialwissenschaftliche Studien fragte er, „wo kommen Generäle her?“ und „wo gehen Offiziere hin?“ Die Generalität der Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr rekrutierte sich das gesamte 20. Jahrhundert hindurch aus demselben sozialen Milieu, dem staatsnahen Teil urbaner Oberschichten mit sehr guter Bildung. Selbst in den beiden Weltkriegen erhielt sich das bürokratische Aufstiegssystem, Bewährung im Feld resultierte nur äußerst selten in einem Karrieresprung. Einmal in die Generalität aufgestiegen, waren Arbeitsplatzwechsel auch in der jüngeren Zeit unüblich. Der größere Teil der Offiziersanwärter allerdings, die in den „zivilen“ Bereich wechselten, würde außergewöhnlich gut zurechtkommen. U.a. verdienen diese fast zehn Prozent mehr als vergleichbar, aber „zivil“ ausgebildetes Personal.

JÖRG LESCZENSKI (Frankfurt am Main) beschrieb in seinem Vortrag das Beförderungssystem der Deutschen Bank in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das sich mit dem Wechsel von der externen zur internen Berufung und der Entstehung flexibler „Bewährungsräume“ im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatte. Bis in die 1950er-Jahre blieb es nahezu unverändert. Eine Tatsache, die umso erstaunlicher ist, als das System einerseits um 1910 aus der Nationalökonomie heraus in die Kritik geriet. Ihr Wortführer Oskar Stillich formulierte nach umfangreichen Mitarbeiterbefragungen sogar konkrete Reformvorschläge. Andererseits kam es intern anhaltend zu Beschwerden, vor allem gegen die fehlende Systematik und damit verbundene Verständlichkeit von Beförderungsentscheidungen. Dass dennoch Reformen ausblieben, muss, so Lesczenski, mit den vielen Krisen und dem brancheninternen Strukturwandel zwischen 1920 und 1950 zusammengehangen haben.

Dass Strukturwandel und Krise Karriere- und Führungsmodelle still stellten, konnte STEFANIE VAN DE KERKHOF (Mannheim) für den Fall der Vereinigten Seidenwebereien (Verseidag) weder in den 1920er-Jahren noch in den 1960er-Jahren bestätigen. Die technischen Innovationen in der Zwischenkriegszeit brachten umfangreiche Reformen der Qualifikationswege (Doppelqualifikation) und darüber auch veränderte Karrieremuster hervor. Und die Strukturkrise der Textilindustrie in den 1960er-Jahren ließ die Familienführung der Verseidag 1972 enden und öffnete das Unternehmen nicht nur für familienfremde Manager:innen, sondern bereitete auch der umfassenden Akademisierung des Führungspersonals den Weg.

Laut HORST A. WESSEL, der routiniert über den Mannesmann-Konzern referierte, war die Rekrutierung der leitenden Kräfte und die Unternehmensführung in Düsseldorf von „beispielloser Kontinuität“ geprägt, wie er zustimmend Egon Overbeck zitierte. Gerade der am längsten amtierende Vorstandsvorsitzende (1962–1983) war es allerdings, der aus der Reihe fiel. Der ehemalige Wehrmachtsoffizier stammte nicht aus dem Rheinland wie seine Vorgänger, er war im Gegensatz zu ihnen akademisch gebildet und hatte vor seiner Berufung keine Karriere im Konzern gemacht. Übereinstimmend aber mit der Führungstradition pflegte auch er die wenig militärische, auf die Zusammenarbeit der Mitarbeiter ausgerichtete Unternehmenskultur, die dem Referenten zufolge für den anhaltenden Erfolg des Unternehmens entscheidend war. Das Wegbrechen dieser Kultur, woran die letzten Vorsitzenden ihren Anteil hatten, trug denn auch zum Ende des Konzerns bei.

WERNER PLUMPE fragte in seinem Abschlussvortrag nach dem empirischen Gehalt der Beschwörung charismatischer Unternehmerpersönlichkeiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Anders als die zeitgenössische Wirtschaftspresse und auch die großen Nationalökonomen wie Weber, Sombart und Schumpeter messe die unternehmenshistorische Forschung für die Zeit vor 1914 dem Charisma der Unternehmer eine geringfügige Rolle bei. Im Gegenteil, „visionäres“ charismatisches Verhalten wurde, wie nicht zuletzt namenhafte Fälle belegen, oft abgestraft. Eindrucksvolle, von Erfolg geprägte Unternehmer-Ären, die es um 1900 tatsächlich zahlreiche gab, seien vielmehr das Ergebnis einer ganz anderen individuellen Fähigkeit gewesen: Die Durchsetzung der rationalen-bürokratischen Unternehmensführung erforderte die persönliche Unterordnung der Unternehmer unter die damit verbundenen Prinzipien. Wer dazu in der Lage war, reüssierte.

Das Symposium fand in der Zentrale der Ed. Züblin AG statt, die die insgesamt tadellose Organisation freundlich und kompetent unterstützte. Die Durchführung der Veranstaltung stand allerdings unter keinem guten Stern. So war sie vor allem dramaturgisch von sturmbedingten Änderungen im Konferenzablauf gebeutelt. Die notwendigen Improvisationen führten zu einem überhasteten Ende, was leider die geplante Abschlussdiskussion, in der Befunde hätten zusammengeführt werden sollen, verhinderte. So gab es leider auch kein Zurückkommen auf Werner Plumpes eingangs umrissene gegenwartsorientierte Erkenntnisinteressen. Eine Bilanz wäre aber wohl gemischt ausgefallen. Vor allem die aufgeworfene Frage nach strukturellen Partizipationsbedingungen – wer darf überhaupt am Rennen teilnehmen und wer nicht? – wurde nur ex negativo beantwortet, etwa mit Blick auf die konkrete Milieuspezifizität von Rekrutierungspraktiken. Um Ausschlussmechanismen und ihre konkrete Funktionsweise ging es hingegen gar nicht. Es gibt also noch einiges zu tun, denn das Plädoyer Plumpes für die kritische Anreicherung aktueller Debatten durch die historische Auseinandersetzung mit Karrieremustern überzeugte zumindest den Berichterstatter.

Konferenzübersicht:

Werner Plumpe (Frankfurt am Main), (stellv. auch für Jörg Sydow): „Begrüßung und Einleitung“

Luca Froelicher (Zürich): „Der Wechsel von der externen zur internen Rekrutierung von Führungskräften im 19. Jahrhundert“

Johanna Steinfeld (Frankfurt am Main): „Die ‚Konservierung‘ von Unternehmensführung: Die Beispiele Zeiss, Carlsberg und Alnatura“

Christian Marx (München): „Karrierewege vom Nationalsozialismus in die Bundesrepublik. Zur Kontinuität der deutschen Wirtschaftselite“

Wolfgang Mayrhofer (Wien): „Karriere als Weg nach oben? Theoretische und empirische Annäherung an eine Missverstandene“

Martin Elbe (Potsdam): „Von Offizieren und Managern: Zu Reproduktion und Transformation einer Elite“

Jörg Lesczenski (Frankfurt am Main): „Beförderungspraktiken in der Deutschen Bank (1870-1933). Muster und Widerstände“

Stefanie van de Kerkhof (Mannheim): „Karrierewege und Karrieremuster in der Familienaktiengesellschaft – Das Fallbeispiel der Vereinigten Seidenwebereien AG 1920 bis 2020“

Horst A. Wessel: „Der berufliche Werdegang der Führungskräfte der Mannesmannröhren-Werke AG/Mannesmann AG vor ihrer Berufung“

Werner Plumpe: „Charisma und Führung an historischen Beispielen“


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